Gedichte

Hohes Lied

Die Zeit kippt von den Zeigern goldene
Schnipsel die Katze die Braut sie blicken
nach Süden wo die Dörfer besprengt
werden mit Weihe und etwas Wasser
das selbst nachts nicht abkühlt überall
Streublumen in Körben in Cellophan die
Gläser sind bis obenhin gefüllt der Junge
hüpft den weissen Bahnen aus Tüll
hinterher trinkt seinen ersten Schluck Wein

Brigitte Fuchs (aus "Handbuch des Fliegens")

Hangar

Ein Lob auf diesen trockenen Standort
Kein Rost setzt an auf den Eisenflügeln
der Schwalben

Die Finger bewegen sich flugs
Sie knöpfen Hemden auf sie schlendern
über die Boulevards der Körper
Stecken Wörter in Brand

Am Ende des Sommers ziehen sie
die mechanischen Vögel auf
und werfen sie gegen die Wand
der Wolken

Brigitte Fuchs (aus "Handbuch des Fliegens")

An der Aussenwand lehnen

An der Aussenwand lehnen mit
Zebrastreifen auf der Haut

Jemand verreist jemand reicht
eine Stimme weiter

Während die Motorsäge von der
Tonleiter steigt
kracht der Goldregen zu Boden

Dieser Tag ist ohne Zweifel unfähig
auf Zehenspitzen zu gehen

Jemand richtet sich auf – jetzt
darf ich schon nichts mehr sagen

Brigitte Fuchs (aus "Handbuch des Fliegens")

Du sagst, du kannst tanzen, nun tanz!

Das Wasser der Zukunft zieht an uns
vorbei der Stadt zu. Es ist Mittag, es ist
Abend. Die Kinder bedienen uns mit
Glück, mit Glas. – Mutter, da steht ein
Freier vor der Tür… – Wir bücken uns
nach dem Frühling und erwachen im
Sommer. Wir staunen, wir drehen uns,
mischen Seife ins Wasser und blasen.

Brigitte Fuchs (aus "Handbuch des Fliegens")

Den Fluss hinab

Die Steine erklären immer dasselbe:
Es gibt kein Mass für die Zeit

Von Haus zu Haus gehen die Strassen
und führen dennoch vorbei

Derweil schlagen die leichteren
Tage die Beine übereinander

Ob es ihn noch gibt den Fluss
wenn er einbiegt ins Meer

Brigitte Fuchs (aus "Es tanzt der Stein")

Übers Wasser gehen

Man soll behutsam übers Wasser gehen
man soll die feinen Lügen nicht verdrehen
man soll nicht mit papiernen Flügeln wehen
man soll die Liebe nie ganz recht verstehen
man soll das Nichts nicht laufend übersehen
man soll nicht auf dem Fluchtpunkt stehen
man soll behutsam übers Wasser gehen

Brigitte Fuchs (aus "Es tanzt der Stein")

Darstellende Truppe

Was sind wir unsichere Akteure
auf unseren improvisierten Bühnen

Auch das Stück war schon besser

Licht spielen will gelernt sein kein
Mensch ist eine Sonne ein Mond

Also lass dir was einfallen tanz wild
herum stell dich Kopf oder quer

Was sollen wir Neuartiges erzählen

Keiner geht noch mit dem Hut durch
die Zeit es sei denn zum Betteln

Brigitte Fuchs (aus "Es tanzt der Stein")

Am Rand

Am Rand des Weihers
sitzt seit Stunden der Dichter -
und schreibt nicht ein Wort

Brigitte Fuchs (aus "Es tanzt der Stein")

Résumé

Wie ähnlich sie sich sind unsere Cafés
und Tearooms die Gartenlauben

altgediente Schreiborte vereinzelt
sitzen wir da und denken gegen die

Zeit an reihen Wörter und ein paar
glückliche Wendungen aneinander

was finden wir denn ausser Wolken
die vorbeitreiben mal eilig mal träge

Die Kritzel im Notizheft sind uns selten
mehr als ein Schluck Wasser im Glas

Brigitte Fuchs (aus "Es tanzt der Stein")