Verklärung

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Wenn es Abend wird,
Verlässt dich leise ein blaues Antlitz.
Ein kleiner Vogel singt im Tamarindenbaum.

Ein sanfter Mönch
Faltet die erstorbenen Hände.
Ein weisser Engel sucht Marien heim.

Ein nächtiger Kranz
Von Veilchen, Korn und purpurnen Trauben
Ist das Jahr des Schauenden.

Zu deinen Füssen
Öffnen sich die Gräber der Toten,
Wenn du die Stirne in die silbernen Hände legst.

Stille wohnt
An deinem Mund der herbstliche Mond,
Trunken von Mohnsaft dunkler Gesang;

Blaue Blume,
Die leise tönt in vergilbtem Gestein.

 

Georg Trakl (1887-1914) österreichischer Dichter

 

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12 Antworten auf Verklärung

  1. Edith Hornauer sagt:

    Trakl’s Abendgedanken in einer Reihenfolge, die ihn erkennen lassen.
    Ich mag grad das Gedicht von ihm:

    Dunkle Deutung des Wassers: Stirne im Mund der Nacht,
    Seufzend in schwarzen Kissen des Menschen rosiger Schatten,
    Röte des Herbstes, das Rauschen des Ahorns im alten Park,
    Kammerkonzerte, die auf verfallenen Treppen verklingen.

    Dir ein Danke dafür und einen feinen Tag…
    herzlichst, Edith

    • quersatzein sagt:

      Das sind treffende Gedanken und Ergänzungen zum Trakl-Gedicht, liebe Edith.
      Fein, dass dir sein – wie oft bei ihm – etwas schwermütiges Poem so sehr zusagt.

      Hab auch einen erfreulichen Tag und sei ebenfalls herzlich gegrüsst!

  2. Eva sagt:

    Das Jahr wird langsam müde und alt, aber da ist sie noch, eine kleine blaue Blume und gemahnt still an etwas anderes …

    Liebe Grüße von wo die Kraniche ziehen
    Eva

    • quersatzein sagt:

      Oh ja, wir nehmen sie dankbar zur Kenntnis, die kleine blaue Blume der Poesie und der Freude.

      Sei herzlich gegrüsst, Eva!
      Die Kraniche ziehen hier nicht vorbei, das ist sehr schade …

  3. Gerhard sagt:

    Ein Abgesang?!
    Die genannten Farben trudeln auch allmählich ins Verbleichen.
    Liebe Grüße Gerhard

  4. quersatzein sagt:

    Das denke ich schon. Abschied von den hellen Sommertagen liegt in der Luft.
    Und du sagst es, Gerhard, die Farbenintensität lässt spürbar nach.
    Aber es warten neue Stimmungen und Lichtspiele auf uns.
    Einen lieben Sonntagsgruss.

  5. merlin sagt:

    schöne sprachbilder und ja, trakl ist oft schwermütig.
    lange her, dass ich mich mit ihm intensiv befasst habe.
    die passage ‚das jahr des schauenden‘ lädt mich zur rückschau ein. welche bilder sind mir für dieses jahr im moment präsent? eine kleine morgenmeditation also 🙂
    einen schönen sonntag dir/euch und glg.

  6. quersatzein sagt:

    Das ist schön und erfreulich, Merlin, wenn dich der Trakl-Text zum Meditieren einlädt. Er hat tatsächlich das „Zeug“ dazu.
    Und auch eine Rückschau bietet sich an.
    Euch ebenfalls einen feinen Sonntag, hoffentlich, wie hier, mit Sonne garniert.
    Liebe Grüsse in die Berge.

  7. Sonja sagt:

    Mir scheint, als sei nicht nur die Blume blau gewesen!
    Gruß von Sonja

  8. quersatzein sagt:

    Da könntest du sogar recht haben, Sonja. :–)
    Einen lieben Abendgruss.

  9. mano sagt:

    ich mag trakls sprache, auch wenn er mir allzuoft zu schwermütig ist. aber sätze wie “ trunken von mondsaft dunkler gesang“ oder „ein kleiner vogel singt im tamarindenbaum“ sind einfach wunderbar.
    liebe grüße von mano

  10. quersatzein sagt:

    Das mit dem kleinen Vogel finde ich auch entzückend, Mano.
    Oder: „An deinem Mund der herbstliche Mond“
    Einen lieben Gruss zu dir.

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