Vorfrühling

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Über den Feldern ein warmer Hauch,
Schwellende Knospen am Dornenstrauch,
Ungeduldige Wölkchen schweben
Über mir hin, und fern im Land,
Wo die Berge ihr Haupt erheben,
Aus dem feinen, bläulichen Rauch –
Winkt eine Hand:
„Wartest du auch?
Wartest du auch auf das blühende Leben …?“

 

 

Anna Ritter (1865-1921) deutsche Dichterin und Schriftstellerin
Aus ihrem Gedichtband „Befreiung“ von 1900

 

 

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Wasser

Fotos Brigitte Fuchs

 

Wasser gibt nach, aber erobert alles. Wasser löscht Feuer aus oder, wenn es geschlagen zu werden droht, flieht es als Dampf und formt sich neu. Wasser spült weiche Erde fort oder, wenn es auf Felsen trifft, sucht es einen Weg, sie zu umgehen. Es befeuchtet die Atmosphäre, so dass der Wind zur Ruhe kommt. Wasser gibt Hindernissen nach, doch seine Demut täuscht, denn keine Macht kann verhindern, dass es seinem vorbestimmten Lauf zum Meer folgt. Wasser erobert durch Nachgeben; es greift nie an, aber gewinnt immer die letzte Schlacht.

 

Text von einem unbekannten Verfasser aus dem 11. Jahrhundert

 

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Es ist Zeit

 

 

 

Brigitte Fuchs: Fotografie / Collage

 

 

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Märchen

Foto Brigitte Fuchs

 

Blutrote Rosen

Im Schnee des Wintergartens

werden Märchen wahr

 

 

Brigitte Fuchs

 

 

Foto Brigitte Fuchs

 

 

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Winterspaziergang

Fotos Brigitte Fuchs: Teufenthal

 

 

Holzwege

 

Eine vom Sturm gefällte Fichte liegt

quer über dem Waldweg eilig nimmt

die Frau mit den roten Plastiktüten

ihre zwei Hunde an die Leine von den

Nadelbäumen rieselt ein altbekanntes

Winterlied bei der Naturfreundehütte

Wendespuren von Autos im Schnee

 

Brigitte Fuchs
Aus „Musik von weit her“ Gedichte, edition 8, Zürich 2020

 

Fotos Brigitte Fuchs: Teufenthal

 

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Winterwärme

Foto Brigitte Fuchs

 

 

(…)

An meiner Dachkante hängt
Eiszapfen neben Zapfen,
starr,
die fangen zu schmelzen an,
Tropfen auf Tropfen blitzt,
jeder dem andern unvergleichlich,
mir ins Herz.

 

 

Richard Dehmel (1863-1920) deutscher Dichter, Dramatiker und Kinderbuchautor
Die letzte von drei Strophen seines Gedichtes „Winterwärme“

 

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Logisch

 

Foto Brigitte Fuchs

 

 

 

Jeder möchte ein Spatzenhirn haben, vorausgesetzt, er ist ein Spatz.

 

 

Brigitte Fuchs

 

Foto Brigitte Fuchs

 

 

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Was wollen mir vertraun die blauen Weiten …

Foto Brigitte Fuchs

 

 

(…)

Mir ist in solchen linden, blauen Tagen,
Als müssten alle Farben auferstehen,
Aus blauer Fern sie endlich zu mir gehen.

So wart ich still, schau in den Frühling milde,
Das ganze Herz weint nach dem süssen Bilde,
Vor Freud, vor Schmerz? – ich weiss es nicht zu sagen.

 

 

Joseph Eichendorff (1788-1857) deutscher Dichter
Letzte Strophen seines Sonettes „Was wollen mir vertraun die blauen Weiten“

 

Foto Brigitte Fuchs: Sempachersee

 

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Reflexionen

Fotos Brigitte Fuchs

 

Wie auf schönen klaren und tiefen Bronnen,
Spiegeln sich auf hässlichen seichten Pfützen
Sterne und Sonnen.

Aus dem Schmutzigen wie dem Reinen, immer
Strahlt ihr Bild im nämlichen makellosen
Göttlichen Schimmer.

Denn das Reine bleibt ewig fort das Reine,
Ob die Hände, die es berühren, edle
Oder gemeine.

Und das Grosse kann nie der Schmutz verdunkeln,
Doch den Pfuhl sogar lässt leuchtende Grösse
Golden erfunkeln.

 

A. de Nora (1864-1936) Pseudonym für Anton Alfred Noder, deutscher Arzt und Dichter

 

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He Meister

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

He Meister, ich habe grausame Langeweile und weiss gar nicht, was machen, und da habe ich gedacht, ich wolle etwas zur Gesellschaft. Aber ich weiss nur an einen Ort hin und weiss, wie es da geht, wie ich davon komme, das aber weiss ich nicht. Da dachte ich, es sei besser, daheim zu bleiben. Aber was soll ich daheim machen? Ins Bett mag ich nicht, im Stall ist es mir auch verleidet und ums Haus herum geht der Bisluft, es einem fast die Knöpfe ab den Kleidern nimmt, so dass es mich wegtreibt und gar nicht zu Hause dulden will. Meister, was soll ich machen?

 

Jeremias Gotthelf (1797-1854) Schweizer Pfarrer und Schriftsteller
Aus «Leiden und Freuden eines Schulmeisters»



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