Foto Brigitte Fuchs: Kalender von Harenberg
In meiner Kindheit (und vielleicht nur in dem Land, in dem ich sie verlebt habe) gab es eine besondere Art von Wandkalendern, an die ich mich jedes Jahr in den Wintermonaten erinnere, wie man sich an Weihnachtsbäume und Grossmütter erinnert, an Bilderbücher und Bonbons, an alle Personen und Dinge, die einen Glanz, eine Süsse und eine Wärme hatten und die in ein gläsernes Grab gesunken scheinen, immer noch sichtbar, aber tot, Reliquien der heiligen Kindheit. Die Wandkalender bestanden, wie die heutigen auch, aus einem dicken Bündel neuer, glänzender, schwarzer und roter Tage, über die wie ein Bühnenvorhang ein buntes Blättchen gelegt war, darstellend einen Ast voll roter Kirschen oder ein Büschel Veilchen, jedenfalls immer ein blühendes Versprechen des neuen noch zugeklappten Jahres. Das Bündel der 365 Tage steckte an einem ziemlich grossen und breiten Pappendeckel, der die Wand, das senkrechte Fundament war, auf dem sich das neue Jahr zu erheben gedachte. Dieses harte Papier war von einem noch härteren Glanz überzogen, von einer lackierten Schicht, einer spiegelnden, gewölbten Oberfläche, in der sich die Sonne konzentrierte, wenn der Wandkalender gegenüber dem Fenster hing, und in der, wie eine ferne Erzählung vom Wetter, die Färbungen des Himmels und der Luft zu lesen waren. Doch war diese Eigenschaft des Glanzes nur eine angenehme sekundäre. Während das Wichtigste die gepresste, erhabene Illustration auf dem Pappendeckel war, die, obwohl sie das ganze Jahr naturgemäss nicht wechselte, dennoch nicht die gleiche zu bleiben schien und ihre Aktualität bis zum 1. Dezember bewahrte, zu welcher Zeit schon die Erwartung des neuen Kalenders das Bild auf dem alten gewohnt und gewöhnlich machte.
(…)
Joseph Roth (1894-1939) österreichischer Schriftsteller und Journalist
Auszug aus „Gedicht von Wandkalendern“ in „Panoptikum“
j. roth beschreibt das gekonnt 🙂
wenn man einmal weg war, dann musste ein ganzes bündel tage im nachhinein entfernt werden. das hat dann kraft gekostet, wenn man die geduld nicht hatte, die einzelnen tage abzutrennen.
kalendersprüche sind meist vielfältig.
für mich ist dein blog zum kalender geworden….
einen frohen tag dir u. herzliche grüsse.
Das ist eine wunderbare Folgerung. :–)
Danke für deine Kommentare, Merlin, die hier immer so gut dazupassen!
Auch dir einen gefreuten Tag und herzlichen Gruss.
Ja, solche Kalender haben es in sich und kommen für uns aus sich heraus.
Ich schließe mich den Worten von Merlin sehr gern an. Danke für *deine täglichen Kalenderblätter* hier, die mir immer sehr willkommen sind.
Liebe Grüße
herzlichst, Edith
Der Dank ist ganz meinerseits, Edith.
Ich freue mich über die täglichen Kommentare hier.
Sei auch lieb gegrüsst!
Ich liebe diese Tages-Abreißkalender.
Der fürs kommende Jahr liegt auch schon bereit.
Und: sie lassen sich zu Lesezeichen, to-do-Listen, Notizzetteln etc. weiterverwenden 😉
Und danach drehe ich meine Blogrunde 😉
Herzliche Morgengrüße
Genau, Mona Lisa, sie sind multifunktional. :–)
Danke für deine Besuche hier und frohe Jahresendgrüsse.
Joseph Roth,
liebe Frau Quersatzein,
beschreibt seine Erinnerung an die Wandkalender sehr anschaulich und schön.
Mich selbst begleitet seit dreissig Jahren der Helvetas-Kalender, ein Monatskalender. Und neu noch ein Wandkalender mit 52 Texten von Autorinnen aus verschiedenen Jahrhunderten.
Mit einem herzlichen Gruss in den vorletzten Tag des Jahres
Hausfrau Hanna
Ja, er führt seine Gedanken breit aus. :–)
Es ist spannend, welche Kalender uns mehr zusagen als andere.
Wir erhalten seit Jahren einen Foto-Kalender von der Familie mit den vier Enkeln, der uns durch das Jahr begleitet. Und von einer schreibenden Bekannten kommt püntlich zum Jahreswechsel ein Kalender mit Bildern und Notaten.
Dazu liegt jeweils ein Abreisskalender auf. (Dieses Mal auch der von Diogenes.)
An Kalendern mangelt es uns jedenfalls nicht. 🙂
Einen lieben Altjahr-Gruss zu Ihnen.
Wirklich beeindruckend, wie ausufernd hier ein Wandkalender beschrieben wird. Um ehrlich zu sein: dein Foto eines Wandkalenders erfreut mich deutlich mehr. 😉 Ich bin wohl zu jahresend-hektisch ..
Liebe Grüße, Andrea
Das Ausufernde mag ich in der Regel auch nicht so.
Kurzes, Prägnantes ist mir lieber und liegt mir auch beim Schreiben mehr.
Ich denke, das hat nicht primär mit Hektik zu tun, sondern mit dem eigenen Wesen. :–)
Liebe Grüsse auch zu dir.
So ein Kalender kann Wunder wirken, wenns draussen grau und neblig ist!
Und klar: Ein neues Bild macht einen erwartungsfroh!
Liebe Grüsse
Gerhard
Stimmt, Gerhard. Ein schönes, neues Titelbild weckt Vorfreude.
Liebe Retourgrüsse.
Wie sehr sehnen wir uns alle nach guten Worten für jeden Tag. Somit soll die Suche danach auch bewusst geschehen, so dass jede*r für sich die richtige Kraftquelle finden möge.
Hoffen wir auf viele dieser Quellen, die uns durch das neue Jahr tragen.
Liebe Grüße auch hier ins alte Jahr,
Anna-Lena
Ja, Motivierendes lassen wir uns gerne „servieren“.
Sei auch lieb gerüsst, Anna-Lena!
Schön beschrieben! Ja, Kalender haben nicht nur die Funktion die Tage anzuzeigen, damit wir uns nicht verlieren in der Zeit. Meist dürfen wir uns auch über schöne Bilder oder liebevoll gestaltete Fotos freuen.
Ich werde durch das kommende Jahr mit „vergessenen Wörtern“ gehen und bin gespannt auf diese Wortschätze.
Liebe Grüße,
Syntaxia
Vergessene Wörter gibt es sicher viele und das Thema ist spannend.
Ich wünsche dir viel Vergnügen dabei.
Lieben Abendgruss.
wie kommt es, dass trotz alledem der beginn des neuen jahres mit einem neuen taschenkalender oder wandkalender in mir etwas anderes bewegt, als nach z.b. 6 wochen? es ist ein neuer abschnitt, roth beschrieb das ja als das immer neue im alten, das gefällt mir. heute hörte ich, es käme nicht nur auf das vergangene oder zukünftige leben an, sondern unsere wegbegleiter/-innen seien das wichtigste. die konstante, wie das titelblatt von roths kalender. dir, liebe brigitte, wünsche ich herzlich ein gutes jahr 2025, roswitha
Du sagst es, das Neue ist reizvoll und vielversprechend. Und das Konstante trägt uns. Danke für die schönen Gedanken, Roswitha!
Auch dir wünsche ich ein rundum gutes 2025.
Sei herzlich gegrüsst!
Perfektes Stück in großer Literatur gefunden!
Dankeschön und alle guten Wünsche zu dir!
Herzlich
Sonja
Fein, dass es dir gefällt.
Alle guten Wünsche auch zu dir, Sonja, sowie besten Dank und Gruss.