Monatsarchive: Dezember 2024

Jahreswende

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Ich lob’ es nicht, das alte Jahr,
Ich schimpf’ es nicht. So wie es war,
So wie es jetzt noch vor uns steht,
Ehdenn es ganz von hinnen geht,
Verbraucht und alt, die Taschen voll
Von unerfüllten Wünschen, soll
Es meinethalb vergessen sein!

Das neue tänzelt nun herein,
Mit falschem Lächeln im Gesicht,
Die Augen leuchtend, und verspricht
Dem einen dies, dem andern das,
Und allen viel, und jedem was
Und spitzt das Maul, ist zuckersüss,
Das richtige Spinatgemüs!

Dem sag’ ich – gebt mir erst noch Punsch! –,
Dem sag’ ich: Ich hab’ keinen Wunsch.
Bring, was du musst, nicht, was ich mag,
Und fahre ab am letzten Tag!

 

Ludwig Thoma (1867-1921) deutscher Rechtsanwalt und Schriftsteller

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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Gedicht von Wandkalendern

Foto Brigitte Fuchs: Kalender von Harenberg

 

In meiner Kindheit (und vielleicht nur in dem Land, in dem ich sie verlebt habe) gab es eine besondere Art von Wandkalendern, an die ich mich jedes Jahr in den Wintermonaten erinnere, wie man sich an Weihnachtsbäume und Grossmütter erinnert, an Bilderbücher und Bonbons, an alle Personen und Dinge, die einen Glanz, eine Süsse und eine Wärme hatten und die in ein gläsernes Grab gesunken scheinen, immer noch sichtbar, aber tot, Reliquien der heiligen Kindheit. Die Wandkalender bestanden, wie die heutigen auch, aus einem dicken Bündel neuer, glänzender, schwarzer und roter Tage, über die wie ein Bühnenvorhang ein buntes Blättchen gelegt war, darstellend einen Ast voll roter Kirschen oder ein Büschel Veilchen, jedenfalls immer ein blühendes Versprechen des neuen noch zugeklappten Jahres. Das Bündel der 365 Tage steckte an einem ziemlich grossen und breiten Pappendeckel, der die Wand, das senkrechte Fundament war, auf dem sich das neue Jahr zu erheben gedachte. Dieses harte Papier war von einem noch härteren Glanz überzogen, von einer lackierten Schicht, einer spiegelnden, gewölbten Oberfläche, in der sich die Sonne konzentrierte, wenn der Wandkalender gegenüber dem Fenster hing, und in der, wie eine ferne Erzählung vom Wetter, die Färbungen des Himmels und der Luft zu lesen waren. Doch war diese Eigenschaft des Glanzes nur eine angenehme sekundäre. Während das Wichtigste die gepresste, erhabene Illustration auf dem Pappendeckel war, die, obwohl sie das ganze Jahr naturgemäss nicht wechselte, dennoch nicht die gleiche zu bleiben schien und ihre Aktualität bis zum 1. Dezember bewahrte, zu welcher Zeit schon die Erwartung des neuen Kalenders das Bild auf dem alten gewohnt und gewöhnlich machte.

(…)

Joseph Roth (1894-1939) österreichischer Schriftsteller und Journalist
Auszug aus „Gedicht von Wandkalendern“ in „Panoptikum“

 

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Sonntag

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Wie lieb‘ ich es, an Sonntagsnachmittagen
Allein zu sitzen im vertrauten Zimmer;
Durch’s Fenster bricht der Sonne heller Schimmer,
Das Buch vergoldend, das ich aufgeschlagen.

Die Strassen leer; es rollen keine Wagen;
Des Marktes Lärm verstummt, als wär’s auf immer,
Und all des Sonntagsstaates bunter Flimmer,
Er ward hinaus in Wald und Flur getragen.

Verlassen fühlt sich, wer zurückgeblieben,
Und manches schöne Auge blickt verdrossen,
Und manche Wünsche unerfüllt zerstieben.

Es ruht das Leben, wie in sich zerflossen;
Doch still erfüllt sich auch geheimes Lieben,
Und einsam wird des Geistes Glück genossen.

 

 

Ferdinand von Saar (1833-1906) österreichischer Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker

 

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Zeit

Foto Brigitte Fuchs

 

So wandelt sie im ewig gleichen Kreise,
Die Zeit, nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind;
Das unbefangne Menschenkind
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von aussen nichts sich je erneut,
In dir trägst du die wechselnde Zeit,
In dir nur Glück und Begebenheit.

 

 

Ludwig Thieck (1773-1853) deutscher Dichter und Schriftsteller
Das Gedicht mit dem Titel „Zeit“ entstand 1798

 

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Zwischen den Zeiten

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Der Steinkopf im Bach.

Ist er der Gott der Zukunft?

Der vergang’ne Narr?

 

Brigitte Fuchs

 

 

Foto Brigitte Fuchs

 

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Diese guten Augenblicke

Foto Brigitte Fuchs

 

(…)

Es wird mir nicht leicht, Ihnen anzudeuten, worin diese guten Augenblicke bestehen; die Worte lassen mich wiederum im Stich. Denn es ist ja etwas völlig Unbenanntes, und auch wohl kaum Benennbares, das in solchen Augenblicken, irgendeine Erscheinung meiner alltäglichen Umgebung mit einer überschwellenden Flut höheren Lebens wie ein Gefäss erfüllend, mir sich ankündet.

(…)

 

 

Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) österreichischer Schriftsteller, Dramatiker und Lyriker
Auszug aus „Ein Brief“ oder „Brief des Lord Chandos an Francis Bacon“

 

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Weihnachten

Fotos Brigitte Fuchs

 

 

Weihnachten ist kein Zeitpunkt und keine Jahreszeit, sondern eine Gefühlslage. Frieden und Wohlwollen in seinem Herzen zu halten, freigiebig mit Barmherzigkeit zu sein, das heisst, den wahren Geist von Weihnachten in
sich zu tragen.

 

 

Calvin Coolidge (1872-1933) US-amerikanischer Politiker und 30. Präsident der Vereinigten Staaten

 

 

Ich wünsche allen Bloglesern und -leserinnen unbeschwerte, frohgemute und gefühlvolle Weihnachten.

 

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Adventsengel 24

Foto Brigitte Fuchs

 

Der Baum des Friedens

Ich weiss, im Dunkel steht ein Baum
mit Kerzen übervoll besteckt.
Manchmal in einem schönen Traum
ein Engel sie zum Leuchten weckt.

Der ganzen Erde Menschen seh‘
ich stehen unter seinem Grün,
aus ihren Herzen will kein Weh‘,
will nur verklärte Freude blüh’n.

Kein Kampf und Sieg ist unter ihm,
nicht eine einzige Stimme flucht,
indes ein gold’ner Cherubim
in seinen Zweigen Früchte sucht.

Es steigt der Engel Tag und Nacht
hinauf, hinab und will nicht ruh’n,
und legt der süssen Früchte Fracht
den Menschen in die off’nen Truh’n.

 

Alfons Petzold (1882-1923) österreichischer Lyriker

 

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Adventsengel 23

Foto Brigitte Fuchs

 

 

Ahnungen sind Regungen, die Flügel des Geistes höher zu heben.

 

Bettina von Arnim (1785-1859) deutsche Schriftstellerin
Zitat gelesen auf einem Kalenderblatt

 

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Adventsengel 22

Foto Brigitte Fuchs: Plakat beim Museum der Kulturen in Basel von 2013

 

 

Gott befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuss nicht an einen Stein stösst.

 

Bibeltext: Psalm 91 im Alten Testament

 

 

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